"Elisabeth" und die Vollbremsung im Ärmelkanal
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Das schöne Wetter änderte sich aber schlagartig, als wir in den Ärmelkanal einliefen. Dichter Nebel über die ganze vor uns liegende Distanz, die Brückenwache konnte unsere Back noch gut erkennen, aber das war's dann auch. 43 Jahre später erfuhr ich dann auch vom Funker, dass unser Radargerät ebenfalls nicht einwandfrei funktionierte. Wir drosselten sicherheitshalber die Geschwindigkeit ein wenig, der Propeller drehte noch mit etwa 100 Umdrehungen pro Minute statt bisher etwa 128, und so tasteten wir uns durch den Englischen Kanal. Es war morgens gegen 9:30 Uhr - ich besprach gerade mit dem Leitenden Ingenieur (L.I.) im Maschinen-Fahrstand meine geplantes Tagesprogramm an Wartungsarbeiten - da kam wie aus heiterem Himmel über den Maschinentelegrafen das Notmanöver "3 x AK zurück!!!" Das bedeutete äußerste Gefahr für das Schiff und sofortige Ausführung des Manövers.
Da ich wusste, welche Folgen das Manöver für den Antrieb hatte, guckte ich wohl einen Wimperschlag zu lange entsetzt den Chief an, weil ein Umsteuern der Fahrmotoren frühestens bei 50 Umdrehungen pro Minute des Propellers eingeleitet werden durfte und wir waren noch bei 100! Sofort kam die Wiederholung des Notmanövers von der Brücke, der Chief brüllte: "Hau rein!", ich regelte mit der einen Hand die Fahrmotoren runter, zeitgleich leitete ich mit der anderen den Bremsvorgang der Motoren ein. Das Schiff fing wie wahnsinnig an zu rütteln, dichter blauer Qualm stieg aus dem Fahrmotorenraum auf und die Fahrmotoren wurden durch die Bremsscheiben abrupt gestoppt.
Der Chief zuckte noch mit den Schultern und erklärte mir: "Das Kommando darf nur im äüßersten Notfall angewendet werden und das heißt, hier geht Schiff vor Maschine, egal was im Maschinenraum passiert. Und die oben müssen wissen was sie tun." Nun, dass der Propeller nicht mehr drehte hieß aber nicht automatisch, dass das Schiff gestoppt lag, denn die Masse des Schiffs und der Ladung schob uns mit der vorherigen aber langsam abnehmenden Geschwindigkeit weiter vorwärts, allerdings hatten wir an dem Krängungsanzeiger im Fahrstand gesehen, dass ein Kurswechsel vorgenommen worden war. Wirklich gestoppt lagen wir wahrscheinlich erst nach zwei oder drei Seemeilen.
Anfahren war nicht mehr drin, die Scheibenbremsen der Fahrmotoren waren festgebrannt und ließen sich nicht mehr lösen. Wir trieben jetzt völlig manöverierunfähig im dichtesten Nebel in einer der am stärksten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Wir erwarteten jeden Moment den Rammstoß, der unsere tapfere "Elisabeth" auf den Meeresgrund schickte. Hier in dieser Gegend waren Kollisionen schon seit Urzeiten die hauptsächliche Ursache von Schiffsverlusten. Tja, was war nun zu tun, um hier wieder schnellstmöglich wieder wegzukommen?
Die Scheibenbremsen ließen sich immer noch nicht lösen, also meinte der Chief, versuchen wir mit den Erschütterungen von ganz leichten Hammerschlägen auf die Bremsscheiben diese wieder so weit zu lockern, dass die Druckfedern die Scheiben wieder wegdrücken können. Schön und gut, aber ich verspürte doch ein ganz schön mulmiges Gefühl, hier unten in der tiefsten Stelle des engen Maschinenraums hinter den Fahrmotoren zu hocken und vorsichtig mit leichten Hammerschlägen die Bremsen zu überzeugen, sich wieder zu lösen, wohl wissend, dass ich bei einer Kollision und volllaufendem Keller keine Chance hätte, rechtzeitig rauszukommen. Dieser Vorgang geschah im Frühjahr 1970, und da ich 2016 diesen Bericht schreibe, steht ziemlich fest, dass alles gut ging. Plötzlich machte es kurz hintereinander an beiden Fahrmotoren laut und vernehmlich "Plopp", und ich konnte in den Fahrstand eilen und Klarmeldung machen. Es ging nun zügig weiter.
Jetzt hatte ich auch endlich Zeit, mich zu erkundigen, was vorgefallen war. Ein griechischer Frachter war uns quer vor den Bug gelaufen, reagierte weder auf Hornsignale nioch auf Funk, unsere Brückenwache konnte nicht mal einen Ausguck auf dem Griechen ausmachen. Dessen Brücke war zum Zeitpunkt der Sichtung offenbar unbesetzt. Bei uns wurde sofort Hartruder und das Notmanöver gegeben, und buchstäblich um Haaresbreite hat unser Bug die Breitseite des griechischen Frachters verfehlt. Ich denke, im anderen Fall hätten wir ihn glatt versenkt. So ist uns nur ein wahnsinniger Schreck in die Glieder gefahren und außer ein mehrstündiges hilfloses Treiben im Kanal ist nichts weiter passiert. So tuckerten wir denn unermüdlich weiter Richtung Nord-Ostsee-Kanal, um etliche Tage später Klaipeda (früher Memel) zu erreichen.
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Fortsetzung folgt! |
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Text: Willi Tebben Fotos: Günter Platzer (Bild 2 - 10); Bild 1: (Bobbyweatherford~commonswiki - Wikipedia gemeinfrei) |
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